Telling Stories

Farah schüttelt ärgerlich den Kopf und ihre heute leuchtend organenen Locken tanzen dabei leicht hin und her. "So rude" - Sowas von unsensibel! Andreas hatte sich etwas zu ihr nach unten gebeugt und "Mein Beileid" gemurmelt - mit diesem höhnischen Blitzen in den Augen. Wir sitzen am Abendbrotstisch und ich runzel die Stirm. Was meint er? "Bin Laden" meint Farah und in ihrer Stimme schwingt dieser etwas säuerliche Unterton mit.

Das liegt jetzt schon ein paar Wochen zurück. An jenem Morgen war in der Kantine ein CNN Zeitungsartikel mit dem Titel "Osama Bin Laden, the face of terror, killed in Pakistan" aufgetaucht. Nicht lange, und schon hatte jemand mit einem roten Kugelschreiber das Wort "terror" mehrfach unterstrichen. "Terror" macht sich in einer Überschrift heutzutage wohl immer gut. Es ist, das wurde mir nicht zuletzt durch die weitgehend einstimmige Reaktion der Schülerschaft bewusst, in den Köpfen der Kinder meiner Generation fest verankert. Es ist ein Begriff, der so univesell ist wie Angst. Angst fördert den Drang nach neuen Anhaltspunkten und ein ganz bewusstes Suchen nach Sicherheit. Für die Journalisten und Lektoren sind ängstliche Leser gefundenes Fressen, denn sie sind neugierig und leichter zu füttern als ignorante und unsensible Menschen in ihrer Komfortzone. Ja, Terror in der Überschrift macht sich gut.

Farah aus Jordanien kann über unser aller positive Reaktion über den angeblichen Tod Osama Bin Ladens eigentlich nur ihre roten Locken schütteln und damit rüttelt sie auch in mir die schon fast verschütteten "TOK-Zellen" im Gehirn wieder frei. Ich wundere mich, als sie erzählt, dass zuhause nicht einmal alle an die Existenz des "face of terror" glauben. "Wir haben ihn doch noch nie wirklich gesehen. Er tritt immer nur in Videobotschaften auf. Und das soll ein Beweis sein? Wir leben immerhin im 21.Jahrhundert. Wem oder was kann man da schon glauben?" Ich weiß gar nicht was ich glauben soll und was nicht. Aber ich weiß, dass ich nicht einfach nur hinnehmen möchte, was ein Nachrichtensender vorgekaut hat und meinen Gehirnstrukturen des 21.Jahrhundert gemäß betitelt. Nur, wenn wir glauben, nur noch unseren eigenen Augen trauen zu können, dann müssen wir alle über Kurz oder Lang einem Wahnsinn verfallen, der letztendlich auch die ehrlichen Anstrengungen, wahrheitsgemäß und sachlich Wissen zu teilen, auslöscht.

 

Bei den Vorbereitungen auf meine Geschichtsprüfung, besondes als ich mich mehr und mehr in den Kalten Krieg vertiefte, fiel auf, wie sehr wir doch den Geschicken einiger Drahtzieher ausgesetzt sind - man nehme die Kubakrise 1962 als Beispiel. Da stellt sich die Fragen, bis zu welchem Punkt wir als Individuen in dieser Welt gelten können und inwieweit unser "Freier Wille" wirklich frei ist - auch Steven Pinker (ich bin immer noch nicht mit "How the Mind Works" durch.... ) macht sich dazu anregende Gedanken. In der Englischarbeit habe ich einen Aufsatz zur Figurengestaltung und Entwicklung in "Herr der Fliegen" und "The Wars" geschrieben und abschließend die Frage im Raum stehen lassen müssen, ob Figuren mehr sein können als nur das Resultat ihrer Umwelt.

Ich bezweifle, dass die Philosophie oder die Psychologie uns je eine befriedigende und allgemein anerkannte Antwort liefern werden.

 

Noch ist für mich die Zeit für die Suche nach solchen Antworten nicht gekommen. Biologie und Deutsch stehen Ende dieser Woche aus. Morgen geht es los mit Genetik, Zellbiologie, Ökologie, Physiologie, biologischer Statistik und Biochemie. Freitag folgt meinem Paper 2 in Deutsch gleich die Generalprobe für unsere feierliche Entlassung, Samstag die Generalprobe für das Triokonzert, das ich zusammen mit einem Cellisten und einem Geiger am Sonntag geben werde und dann natürlich das lang erwartete Packen. Kurz vor Mitternacht trieb es mich gestern noch in das diffuse Abendlicht hinaus. Flekke and back im Lauftempo. Das tat nach all den Gedanken zum Imunsystem gut und ich konnte mich endlich auch mal den Gedanken an den Abschied zuwenden - das machte das Atmen nicht gerade leichter, denn es fällt mir schwer, den Fjord und die bunten Häuser zurück zu lassen und nie wieder "zuhause" nennen zu dürfen. Dienstag wird sicherlich meinerseits ein sehr tränenreicher Tag. Aber das gehört dazu und wir sind uns doch alle dessen bewusst gewesen, als wir vor zwei Jahren daheim unsere Koffer gepackt haben. Und doch: Gestern bekamen wir unsere Jahrbücher, die sich jetzt langsam aber sicher mit mehr oder wenig schwerwiegenden Abschiedsworten füllen. Auf dem Gruppenfoto meines Jahrgangs bin ich nicht zu sehen. Ich stehe unglücklich und mein Gesicht verschwindet vollständig hinter einem anderen. Die World Today Seite wurde von der verantwortlichen Schülerin doch nicht rechtzeitig eingereicht und nun findet sich nicht einmal dafür ein wirkliches Andenken. Als zynische Krönung wurde mir dann gestern der "Haus-Award" für die fleißigste Schülerin des Hauses verliehen. Ich habe den Eindruck, als verzerre sich das Bild, das ich von mir als UWC-Schülerin habe künstlich. Das ist schade. Und es macht deutlich, wie der Stempel, den wir alle persönlich diesem Ort aufdrücken, letztendlich nur in unseren eigenen Köpfen und Herzen ganz vollständig sein Bild hinterlässt. In einem Jahr, wenn auch unsere Firstyears diesen Ort verlassen, leben wir mit viel Glück in dem, was wir wirklich getan haben weiter, und nicht in dem, was man uns anerkannt und zugesprochen hat.

Diese zwei Jahre sind kaum zu glauben. Aber ich habe sie selbst erlebt, und das ist wohl die verlässlichste Quelle, die ich habe.

Angelika

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Kommentare: 2
  • #1

    Miriam (Mittwoch, 18 Mai 2011 00:49)

    Hey Angelika,
    ich verfolge deinen wunderschönen Blog schon seit geraumer Zeit :). Ich heiße Miriam und bin die deutsche Stipendiatin am Red Cross Nordic UWC für das kommende Schuljahr. Ich hoffe deine letzten Tage am College werden so wie du es dir vorstellst hast oder besser ;)
    Liebe Grüße

  • #2

    josephine (Mittwoch, 25 Mai 2011 01:06)

    Hey Miriam!
    bist du schon in der
    Red Cross Nordic United World College Class of 2013
    gruppe auf Facebook? da kannst du viele von unseren Co-years kennen lernen und dir schon ein kleines Bild von UWC machen.. :)