Please Please Me

Sie sind endlich wieder da, die Schmetterlinge der Verliebten. Nach langer, schier endloser Durststrecke zittern meine Hände vor Aufregung und ich kann mich jedes Mal nur schwerlich von ihm trennen. Zu lange war es her, dass ich diesen Genuss spüren durfte, zu lange war es her, dass ich nicht ein Ende herbeisehnte sondern mich auf die vor mir liegende Zeit mit ihm freute, mich ihr entgegensehnte. Das Buch ist unglaublich! Ein Buch, wie ich es noch nie gelesen habe. Eines, dass mich fesselt, mich sowohl inhaltlich als auch sprachlich beeindruckt und begeistert. Steven Pinker: How The Mind Works, erschienen im Penguin Verlag. Selten habe ich mir Wissen auf eine derart heißhungrige Art und Weise angeeignet. Das liegt zweifelsohne an Pinkers Schreibstil und dem Aufbau des wissenschaftlichen und zugleich köstlich unterhaltsamen Werks. Anspruchsvoll und zugleich den Leser befriedigend schreibt er und das lässt sich sicherlich darauf zurückführen, dass der Autor sich intensiv mit dem Spracherwerb von Kindern auseinandergesetzt hat und die erworbenen Kenntnisse nun auf seinen Leser projiziert.

 

Wieder einmal ist dies ein Beispiel, das meine Hauptmotivation für ein Psychologiestudium in England stützt: Ein wissenschaftlich fundiertes Verständnis des Gehirns macht eine teilweise Adaption unseres Verhaltens erst möglich. Effizientes Arbeiten, Lehren, Lernen etc. wird systematisch möglich, wenn man versteht, wie wir Informationen verarbeiten und warum. Psychologie ist keinesfalls eine schwammige Analyse unseres Verhaltens, kein Aufteilen in Vererbung und Umwelt; Psychologie basiert auf der Erkenntnis, dass unser Gehirn eine hochkomplexe Maschine ist, die Lernen und Kultur erst möglich macht. Pinker drückt es so aus: “It’s not that the claim that there is an interaction between innate structure and learning (…) is literall wrong. Rather, it falls into the category of ideas that are so bad they are not even wrong. (….) Yes, every part of human intelligence involves culture and learning. But learning is not a surrounding gas or foce field, and it does not happyn by magic. It is made possible by innate machinery designed to do the learning.” (Pinker, S.: How The Mind Works, Penguin Books Ltd., 1997, London, S.32,33)


Während ich diese Zeilen schreibe zieht an mir die dunkle Landschaft zwischen Essen und Frankfurt vorbei. Meine Gedanken wandern vom eigentlichen Inhalt des so enthusiastisch gepriesenen Lesestoffs meiner Reise zurück ans College zum Autor selbst, der Experimental Psychologie in den USA studiert hat. Und das ist nun zufällig auch genau mein Wunschstudienfach.  Ein paar Synapsen, ein paar Interaktionen von Neuronen später ist der Entschluss gefallen, dass ich ich euch Lesern etwas mitteilen möchte, was im Netz sicherlich schlecht aufgehoben ist, aber dennoch UWC in ein weiter nuanciertes Licht stellt, was immerhin die Absicht ist, die hinter meinem kontinuierlichen Bloggen steht:

 

Im Oktober habe ich mich an der Universität Oxford um einen Studienplatz für das Fach Experimental Psychology beworben. Im November folgte eine Einladung zum Vorstellungsgespräch während der Ferien (welche laute Schreianfälle, ein sinnloses Rumgehüpfe auslöste und das Gefühl, fett Glück auf der Stirn stehen zu haben). Die interessanten Interviews wurden abgelöst von gespanntem Warten, wenn nicht auf Nichts, dann wenigstens auf Wenig  basierenden Mutmaßungen und schließlich fast schon panischem e-Mailabrufen. E-Maillesen am 21.12.2010. Die Realisierung, das dort fast wörtlich stand: Congratulations, St. John’s College Oxford will make you an offer. Was so viel heißt wie: Ja, wir wollen dich! (Die Realisierung war wiederum gefolgt von einem unbeschreiblichen Drang, mich der Welt mitzuteilen. Aus Mangel an anwesenden Verwandten wurde rasch das Telefon geschnappt und das Adressbuch runtergescrollt, bis dass ich bei meiner Patentante ankam, nicht nur aber auch weil ihr Nachnahme mit B beginnt…) Die doch recht wage Aussage "Will be making you an offer" war dann erneut von ungeduldigem Warten auf konkretere Informationen gefolgt. Was für einen Abiturschnitt würde erwartet werden? 45 Punkte sind ziemlich unmöglich zu erhalten, aber wer konnte sich schon ausmalen, was in den Köpfen der Verantwortlichen in Oxford vor sich ging? Gestern, nach einem besorgten Anruf bei UCAS und der Anfrage, ob denn bei dem Internetdienst, über den ich die Bewerbung gesendet habe, noch keine weiteren Informationen eingegangen seien, kam dann die ersehnte Nachricht: Mit 40 Punkten im IB bist du dabei! Bei einer Maximalpunktzahl von 45 ist das machbar und ich bin zuversichtlich, dass ich ab Oktober tatsächlich nach Oxford ziehe. Vorausgesetzt das lässt sich finanzieren (Ideen was Sponsoren und Stipendien angeht immer gerne an meine e-Mailadresse! )

 

Ab Montag bin ich wieder mitten drin im UWC-Leben. Ein letztes Mal, das war Eltern und Geschwistern am Bahnhof heute Nachmittag sonnenklar, hieß es Abschied nehmen von der Schülerin und das für den längsten Zeitraum während meiner zwei Jahre Norwegen, denn die Osterferien werde ich 2011 nicht mit meinen Eltern in Bergen verbringen. Anstelle von Sonnenbrille und Ferienlächeln werde ich im kommenden Frühling die Scheuklappen der Prüfungsvorbereitung aufsetzen. Das offizielle Schreiben aus Oxford, das mich in meinem Postfach am College erwartet, werde ich mir ausdrucken und als Motivationshilfe über meinen Schreibtisch hängen. Ich bin gespannt, ob auch mit dem handfesten Beweis für mein Potential bei mir nochmal das von vielen Mitbewerbern online zum Ausdruck gebrachte „Hogwarts-Gefühl“ eintreten wird.

 

Ich habe die Zeit mit meiner Familie genossen und viel Zeit mit ihnen und als Teil ihres „Alltags“ verbracht. Es ist für mich, und ich denke hier auch für andere UWC-Schüler sprechen zu können, nicht unbedingt leicht, sich wieder in einen Familienalltag zu integrieren. Der Resonanz meinen Eltern zur Folge scheint mir das aber im Laufe meiner stetigen Rückkehrten immer besser gelungen zu sein. Besonders mit meinen Großeltern lebte das auf, als wir wieder in unsere gewohnte und geschätzte Vorlesetradition zurückfanden. Ich habe liebend gerne „Die Panne“ wohl mehr vorgetragen als vorgelesen und ihnen, wie sie so schön sagen „das Fenster in eine andere Welt geöffnet und ein wenig frischen Wind in die Gehirne gepustet“. Sie sind so unglaublich dankbare Zuhörer, die sich mitreißen lassen in diese Welten aus Worten. Neulich war es Dürrenmatt, heute Morgen Fontane und während ich so vorlese, dehnt sich mein Verständnis des Werks aus, kommen immer neue Facetten und Assoziationen hinzu. Es macht mir viel Freude, mit meiner Stimme zu spielen. Vorlesen schult wohl nicht nur das Vortragen sondern nebenbei auch die eigenen Fähigkeiten, zu formulieren. Wenn  sie wie so häufig ihre eigenen Gedanken zum Gehörten äußern, bereichert das unser aller Leseerfahrung immens.

 

Das einem Freund gegenüber geäußerte Statement, ich würde am liebsten immer nur ein Buch lesen, um mich ganz und gar seiner Welt hingeben zu können, muss ich jetzt widerrufen. So lange eines der Werke ein richtiges „Schmankerl“ ist, eines, das einen wie noch ganz früher, als der Anspruch vielleicht niedriger war und das Gemüt leichter zufrieden zu stellen, zum Bücherwurm werden lässt ist, ist auch Pflichtlektüre leichter zu genießen. Im Englischunterricht lesen wir derzeit Huxleys „Brave New World“ und jetzt, da ich mich bis zum fünften Kapitel durchgearbeitet habe und einen Überblick über die vom Autor erdachte Zukunft bekommen habe gelingt es mir, meine eigene Welt, meine Weltanschauungen mit Huxleys schöner, neuen Welt in Verbindung zu setzen und dem Ganzen einen Sinn zu geben, der über die pure Handlung hinaus geht. Das ist mein Anspruch an Literatur - ihre Relevanz für mich als Leser und ich denke, dass jeder Leser über das simple Genussstadium hinaus lesen sollte. Ich verspüre immer wieder den Drang, auch selbst zu schreiben. Oft bemerke ich, dass ich meine Gedanken nicht einfach nur formlos wahrnehme, und sie weniger in Bildern als in Worten visuell vor mir erstehen lasse. Die richtigen Formulierungen kommen nicht selten kurz vor dem Einschlafen, wie zum Beispiel gestern Nacht beim Planen eines Bewerbungsschreibens für einen Sommerjob. Auch heute wieder, im Vorfeld des Entstehens dieses Tagebucheintrags waren viele der Sätze schon so erdacht, wie sie jetzt niedergeschrieben sind. Ein bisschen eifre ich also Steven Pinker nach und ganz tief in mir drin wächst der Wunsch, eines Tages mit dem Psychologieprofessor in den Staaten zusammen zu arbeiten oder wahrscheinlich eher eine Weile für ihn zu arbeiten.

 

Noch genieße ich allerdings das so geschützte Umfeld eines United World Colleges, in dem es Raum für kontroverse und idealistische Meinungen gibt und das mich nicht nur akademisch immer wieder herausfordert und an Grenzen treibt. Flekke, die Vierte. Das letzte Halbjahr im hohen Norden, noch ein Vierteljahr Unterricht und dann... ja, was dann? Fortsetzung folgt.

 

Angelika

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Kommentare: 2
  • #1

    ein_mädchen (Montag, 10 Januar 2011 21:19)

    hey herzlichen glückwunsch! es wird bestimmt klappen(:

  • #2

    ein_junge (Mittwoch, 12 Januar 2011 15:04)

    schöner Eintrag! :) Gruß