I'm Yours

Vor jedem Tagebucheintrag denke ich ein bisschen über die Überschrift nach und frage mich, welcher Song wohl gerade jetzt meiner Stimmung am besten entspricht. Oder welches Lied ich die letzten Tage über rauf und runter gehört habe. Oder welcher Titel dem, wovon ich erzählen möchte, am nächsten kommt. Heute ist es also "I'm Yours", ein Liebeslied, aber darum geht es mir eigentlich nicht. Für mich ist es eher ein Sommersong, meine erste Erfahrung mit Jazon Mraz, ein Chill-out-zone-song.

 

"Ich glaube, was ich sagen will ist, dass es keinen besseren Grund gibt, sich von Eitelkeiten zu befreien und einfach mit den Jahreszeiten zu gehen."

 

Der Sommer ist hier. Es ist so warm draußen, dass ich wirklich bereue, nicht mehr T-shirts und keine kurzen Hosen mitgebracht zu haben. Während der Joggingrunde am vergangenen Donnerstag habe ich mir meinen ersten Sonnenbrand des Jahres geholt, die Rhododendren vor unserer Haustür explodieren ins Pink und manche meiner Mitschüler sind eine einzige wandelnde Sommersprosse.

Wie schön es wäre, jetzt guten Gewissens im Gras zu liegen, Musik zu hören und zu träumen - einfach mit den Jahreszeiten zu gehen.

 

Aber nein, das IB lauert in jedem Winkel und winkt mit Labreports, EE, IA, TOK, EAC, CAS, Leirskule, Mathsportfolio etc. Ganz schwindelig wird einem von diesen Abkürzungen, nicht wahr? Nun stellt euch vor, wie man sich fühlt wenn man weiß, was dahinter steckt und im Kalender schon wieder "Due date" auftaucht, aber keineswegs mit Bleistift sondern fett in rot und am besten mit einem Permanentmarker geschrieben, damit man gar nicht erst auf die Idee kommt, irgend etwas nach hinten zu verschieben.

 

Matti, ein finnischer Mitschüler hat mich heute darauf hingewiesen, dass im "Hitchhiker's Guide to the Galaxy" stünde, dass die Antwort auf die ultimative Frage 42 sei. Was für ein Zufall, dass die Höchstnote im IB 42 ist...

 

Glücklicherweise haben nicht alle Lehrer am Campus dieses Buch gelesen und gestalten ihre Stunden so abwechslungsreich wie möglich. Mitlerweile sind wir vom üblichen Stundenplan abgewichen und haben nur noch ein Fach pro Tag. Im Norwegischkurs waren wir heute wandern. Gleich nach dem Frühstück hieß es "No skal vi pa fjelltur" - Auf gehts auf die Bergwanderung. 3 Stunden kraxelten wir durch die norwegische Natur, die mir immer wieder den Atem raubt. Matthew hat einige wenige Fotos geschossen, die ich aber hoffentlich noch geschickt bekomme um sie dann hier online zu stellen. Es war schön, dieses "Spielend lernen". Manchmal überfordert mich die norwegische Sprache. Zum Beispiel hab ich versucht zu erklären, dass unser Flügel zuhause von irgend einer Uroma eines Tages vor einem Sprengkörper gerettet wurde, der während des Krieges ins Wohnzimmer gelangt war (Wie auch immer. Oder ist das nur ein Mythos?). An dem Wort "Bombe" scheiterte ich leider kläglich, und dass "Schaden" ganz einfach "skade" heißt, fiel mir auch nicht ein. Abgesehen von diesem komplizierten Kram geht es aber weiterhin mit meinen Norwegischkenntnissen bergauf (die Aussicht auf der Spitze des Berges war himmlisch...). Die Unterrichtsstunden sind leider ziemlich langweilig.

 

Morgen habe ich den ganzen Tag lang schulfrei. Diese geschenkten Stunden werden prompt in die Facharbeit für Mathe investiert. Ich bin eigentlich fertig, aber mein Lehrer meinte, ich könnte noch mehr von Technik wie Graphmatika (einem Programm für Funktionen) Gebrauch machen. Die beiden Labreports, die ich von Svanoy mitgebracht habe, müssen auch noch auf Hochglanz gebracht werden. Das Gefühl, zum richtigen Zeitpunkt fertig zu sein, ist eine Entschädigung für die vielen Stunden, die ich in meine Arbeit investiere. Perfektionismus im IB ist anstrengend, und manchmal wünschte ich mir, alles etwas entspannter angehen zu können.

 

(Pause, vollgestopft mit Arbeit, Essen, Schlaf, Unterricht, Sonne, Regen, Dänisch am Abendbrotstisch, Packen)

 

Jetzt ist schon Mittwoch, dieser Artikel zieht sich also etwas in die Länge. Der Großteil meiner Sachen ist schon in der Abstellkammer verschwunden. Bei Tory sieht es ganz anders aus. Sie hat mitlerweile drei Corners und zwei Betten für ihr Zeug in Anspruch genommen, dabei reist sie schon am Freitag ab. Mariano muss sie schon immer scheuchen und ans Packen erinnern. Aber so wie ich sie kenne, kriegt sie am Ende doch alles unter Dach und Fach.

 

Beruhigend ist, dass es zwischen all diesem Stress und der Arbeit immer wieder lustig zugeht. Ein riesen Gau war zum Beispiel der Eurovision Song Contest, den wir auf einer großen Leinwand im Auditorium gesehen haben. Viele waren gekommen, und da es eine unserer ersten Nächte ohne Secondyears war, hat der Abend zum allgemeinen "Bonding" beigetragen. Einige der Jungs hatten sich im Vorfeld ausgiebig darüber informiert, welche der Kandidatinnen denn anfeuerungswürdig seien, und sich schließlich für Azerbaijan entschieden. Vordergründig ging es natürlich um Dekoltéegröße und Haarlänge, und auch unter den Mädchen wurde eifrig geschwärmt, die Geschmäcker waren allerdings verschieden.

Lustig war, dass auch viele gekommen waren, die nicht aus Europa stammen. Unsere Vietnamesin war alles in allem sogar der beste Fan, und zwar für alles und jeden. Wir haben selten so viel gelacht!

Richtig Stimmung machten natürlich die Franzosen und die Griechen, aber auch Serbien mit einer schrecklichen "Balkan Balkan"-Nummer trug zur allgemeinen Heiterkeit bei.

Es ist erstaunlich, wie der Eurovision Song Contest Stereotypen unterstreicht.

Ähnlich ist es in mancher Hinsicht hier am College. Irgendjemand hat einmal gesagt "I thought I would loose all my stereotypes over the two years, but no! They were rather reinforced." Nun, so ganz unrecht hat dieser Mensch nicht.

 

Dass Deutschland dann am Ende gewonnen hat, war überraschend und zwang mich zu einem Freudentanz auf die Bühne. Meine Facebookpinnwand quoll schon Minuten später von Glückwünschen über, und die Türken waren noch einigen Stunden sauer, dass "ich" "ihnen" den ersten Platz weg geschnappt hatte...

Lenas Sprachlosigkeit wurde viel kommentiert. Sie habe betrunken geklungen, dumm, sie sänge besser als sie reden würde. Wir haben hier schon ganz schön hohe Ansprüche an das Englisch anderer Menschen, wenn man bedenkt, dass viele kaum ein Wort sprachen als sie kamen. Hatte Stefan Raab seinen Schützling nicht auf das Gewinnen und die damit verbundenen Pressekonferenzen vorbereitet? Wenn nicht, dann ist das ein Ausdruck schwacher Zielsetzung.

Es ist schon wieder spät, und Tea überprüft meine Schlafgewohnheiten und meinen (nicht existierenden) Kaffeekonsum für ihr Matheprojekt. Ich sollte also den Rahmen nicht sprengen und mich zu Bette begeben! Schaut euch die Fotos von meiner Packaktion an, und dann kommen hoffentlich noch Wanderbilder dazu!

 

LG und bis bald!

Angelika

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