I'm singing in the rain

Ich versuche gerade mehrere Dinge gleichzeitig zu machen. Ich sitze in der Bibliothek, denn das ist wahrscheinlich der einzige Ort, an dem ich wirklich arbeiten kann - wenn ich denn will. Zwei Stunden habe ich jetzt auch mehr oder weniger effektiv an meinen Geschichtsunterlagen gesessen, zwei Orangen gegessen, das stendig umschwenkende Wetter beobachtet. Nun habe ich mich theoretisch meinem Bio Lab-report zugewendet und versuche herauszufinden, ob meine Messungen einer Zwiebelzelle realistisch sind - dummerweise finde ich im Netz keine Angaben zu der durchschnittlichen Größe einer Allium cepa Zelle - aber irgendwie zieht es ich immer wieder zurück zur Homepage. Über mir beginnt das große Hin-und Hergeschiebe der Stühle in der Kantine. Es ist halb sechs und Dinner beginnt. Warum essen die Norweger nur so früh am Abend??

Gut, ich schlage die Bücher zu und mache mich an ein Resumé der vergangenen Tage!

Schon seit Wochen fieberten hier alle Schüler auf PBL hin. Neben EAC, CAS, EE und EA ist das eine collegeinterne Abkürzung, die man wohl oder übel immer wieder erklären muss, wenn man mit Außenstehenden spricht. PBL steht für Project-based learning und beschreibt eine besondere Woche im Schuljahr jedes UWC-Schülers: Die Projektwoche. UWC ist der Meinung, dass sich das Lernen der Schüler sehr auf Inhalte konzentriert, die eher abstrakt und möglicherweise noch lebensfremd sind. Während PBLweek wird darauf Wert gelegt, dass wir einen Einblick in ganz andere Materien bekommen. RCN (noch so eine Abkürzung) biet sehr vielfältige Projekte an. Zum Beispiel gibt es die Möglichkeit, Klettern und Surfen zu gehen, eine Kanutour zu machen, Schafe zu scheren und anschließend ihre Wolle zu verarbeiten, eine Woche lang nicht zu reden, ohne Hilfsmittel in der Natur zu überleben und und und. Ich habe mich für einen Workshop zu Nonviolent Communication entschieden und für mich war das definitiv eine sehr gute Entscheidung.

Der Experte, der mich und 25 andere Schüler während der vergangenen drei Tage intensiv fortgebildet hat kommt aus Slovenien und heißt Robert. Es ist ursprünglich Psychologe und hat sich dann auf Mediation und Kommunikation spezialisiert. Ich habe viel darüber gelernt, wie unterschiedliche Kommunikationstechniken zur Lösung von Konflikten führen können und mir ist immer deutlicher geworden, was für ein komplexes Feld Sprache doch ist und wie spannend es ist, sich mit den psychologischen Hintergründen von Gesagtem auseinander zu setzen. Der Workshop fand auf dem Schulgelände statt und so konnte ich zusätzlich erfahren, wie seltsam leer es doch auf dem Campus sein kann und wie einsam man sich fühlt, wenn nur noch knapp 60 Schüler von 200 da sind.

Am meisten habe ich mir über die Bushcraftleute Gedanken gemacht. Ohne Zelt und Schlafsack sind die durch die Wildness gestreift und es hat geregnet und geregnet. Außerdem ist es hier mitlerweile richtig kalt geworden, besonders nachts. Glücklicherweise war die Gruppe nur einige Kilometer vom College entfernt, denn nach drei Tagen begann Katie schlimme Unterkühlungen zu bekommen und verlor die Orientierung. Deswegen hat die Gruppe beschlossen, Grenzen Grenzen sein zu lassen und geschlossen nach hause zu kommen.

Auch einige Kanuleute kamen schon heute wieder, und so füllte sich die gespenstisch leere Kantine merklich. Das hat sehr gut getan. Einige Gruppen sind aber auch erst gestern aufgebrochen, und so wird es wohl noch bis zum Wochenende dauern, bis sich die Situation einigermaßen normalisiert hat.

In den letzten Wochen hatte ich immer wieder Heimweh, denn was mir hier definitiv noch fehlt ist jemand, der mich wirklich gut kennt, ein richtiger Freund eben. Besonders jetzt, da Jakub (Tschechien, der mich als seine Schwester adoptiert hat :D)  Jesper (einfach immer ein guter Gesprächspartner) und Njaal (mein deutschsprechender Zimmernachbar) nicht da sind, fühle ich mich manchmal ein bisschen verloren und habe Angst, keinen Anschluss zu finden. Manche meiner Mitschüler können sich anderen einfacher öffnen und finden ganz anders Freunde als ich. Obwohl ich hier viele Menschen als Freunde bezeichnen würde und auch nicht das Gefühl habe, ausgeschlossen zu sein oder nicht gemocht zu werden, fehlt mir wie gesagt ein bester Freund.

Ich werde mich also in Geduld üben und zum Glück habe ich ja fantastische, erfahrende Secondyears in meinem Zimmer, die mich immer wieder aufbauen können.

Ich freue mich schon wirklich sehr auf Weihnachten. In zwei Monaten und ein paar Tagen bin ich schon auf dem Weg in die Ferien!

Ha det bra!

Angelika

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